
Notstand an Kitas: Warum wollen junge Frauen Erzieherin werden?
Recklinghausen. Recklinghausen fehlt es an Kita-Personal. Wir haben mit drei angehenden Erzieherinnen gesprochen. Eine von ihnen sagt: „Wir sind am Limit.“
Von Janine Jähnichen
Wenig Wertschätzung, unattraktive Rahmenbedingungen und Dauerbelastung – der Beruf des Erziehers und der Erzieherin hat in den letzten Jahren einiges an Beliebtheit eingebüßt. Das zeigt sich vielerorts in erheblichen Personalengpässen. Wie berichtet, herrscht in vielen Recklinghäuser Kitas ein ernst zu nehmender Fachkräftemangel.
Doch ein Blick in die Klassen des Alexandrine-Hegemann-Berufskollegs zeigt, dass es noch immer Menschen gibt, die sich bewusst für den Berufsweg des Erziehers entscheiden. Drei von ihnen sind Simona Buschlinger (34), Johanna Kremer (42) und Daniela Bühler (38). Sie alle sind gerade im zweiten Ausbildungsjahr ihrer praxisintegrierten Ausbildung (PiA) zur Erzieherin. Alle drei mehr oder weniger als Quereinsteigerinnen.
Johanna Kremer und Daniela Bühler haben über eine Stelle als Alltagshelferin während der Corona-Zeit den Weg in die Ausbildung gefunden. Beide haben vorher schon viel mit Kindern gearbeitet, Kremer ehrenamtlich in der Kirchengemeinde St. Gertrudis in Recklinghausen und Daniela Bühler freiberuflich über Zirkus-pädagogische Angebote. Simona Buschlinger wollte schon früh Erzieherin werden, kam ohne Abitur aber nie für die klassische Erzieherinnen-Ausbildung infrage.
„Das bestärkt einen immer wieder“
Die Arbeit mit Kindern, beobachten, wie sie reifen und lernen – das seien die Tätigkeiten, die das Berufsfeld so spannend machen. „Zu sehen, wie man selbst die Kinder fördern kann, das bestärkt einen immer wieder“, sagt Johanna Kremer. Vor allem im U3-Bereich, in dem die 42-Jährige zurzeit eingesetzt ist, sei es unglaublich mit anzusehen, wie sich die Kinder entwickeln. Bei drohenden Defiziten könne man ihnen helfen, aber ebenso könne man die Kinder dabei unterstützen, ihre eigenen Talente und Stärken kennenzulernen und auszutesten, sagt Daniela Bühler. Als Erzieherin begleite sie Kinder während ihrer gesamten Persönlichkeitsentwicklung. Das sei etwas Besonderes, da sind sich alle drei einig. Aber so sehr sie ihren Beruf schätzen und mögen, im Berufsalltag zeige sich mit aller Deutlichkeit, dass etwas schiefläuft. „Man merkt, dass nicht nur das Personal nicht funktioniert, sondern auch die Rahmenbedingungen“, beschreibt Simona Buschlinger die Lage vor Ort in den Kitas, „man kommt seiner pädagogischen Arbeit nicht nach. Wir wollen die Entwicklung fördern, aber das ist einfach nicht möglich.“ Feste Abläufe, die im Rahmen der Abholzeiten eingehalten werden müssen, würden dafür sorgen, dass für das Erproben des gelernten Schulwissens keine Zeit bleibt.
Wochenendarbeiten und Burnout
Obwohl sie noch in der Ausbildung sind, werden sie in den Kitas als vollwertige Kräfte eingesetzt, teilweise sogar alleine mit den Kindern gelassen. Buschlinger: „Das geht einfach gar nicht. Das dürfen wir überhaupt nicht, aber es wird trotzdem gemacht, weil kein Personal da ist.“ Urlaube, angestaute Überstunden und Krankheitsausfälle würden die Kita-Betriebe regelmäßig ins Schleudern bringen. Statt pädagogischer Arbeit und Vorbereitung auf die Schule sei oft nur reines Aufpassen bis zum Abholen möglich. Die Dokumentationsarbeiten würden sich viele ältere Kolleginnen mit ins Wochenende nehmen. Johanna Kremer arbeitet in einer Recklinghäuser Kita und dort müssten sie und ihre Kolleginnen die Eltern regelmäßig bitten, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Zwei Kolleginnen seien bereits wegen Burnout in Behandlung gewesen.
Die Mitschülerinnen und Mitschüler vom Alexandrine-Hegemann-Berufskolleg würden alle Ähnliches schildern. „Wir sind 25 Schüler, alle in anderen Einrichtungen und trotzdem spiegeln alle das Gleiche. Wir sind am Limit“, sagt Simona Buschlinger. Gestartet war die Klasse ursprünglich mit 31 Schülern, aber einige haben dem Druck nicht standhalten können.
Obwohl auch sie unter ständigem Druck stehen und ab und an ins Zweifeln kommen, ob die Berufswahl die Richtige war, wollen Daniela Bühler, Johanna Kremer und Simona Buschlinger auch nach der Ausbildung als Erzieherinnen arbeiten. In der Hoffnung auf Besserung und darauf, dass das Thema Fachkräftemangel in der Politik endlich Anklang findet.
vom 29.03.2023